Was macht gute Typografie aus?
„Gute Typografie bemerkt man so wenig wie gute Luft zum Atmen. Schlechte merkt man erst, wenn es einem stinkt.“ Was der berühmte deutsche Grafikdesigner und Typograf Kurt Weidemann damit sagen wollte: Schön gezeichnete Buchstaben reichen nicht aus, damit eine Typografie „gut“ ist. In erster Linie muss sie funktionieren — Lesbarkeit, Klarheit und Verständlichkeit sind Pflicht. Zur Kür gehören Lösungen, die harmonisch sind, sowie das Erzeugen von Emotionen und Verbindung.
Diese Anforderungen gelten auch für die Wahrnehmung und Gestaltung von Marken. Gute Typografie wird ihrer Rolle als Brücke zwischen Auge und Adressat:in gerecht. Wie aber wählt man eine Schrift, die zur Vision einer Marke passt?
Typografie – ein Tool für Emotion und Verbindung
Warum vermitteln bestimmte Schriftarten Seriosität, Tradition und Erfahrung, während andere Typografien für Modernität und Trendyness stehen? Oder warum suggeriert z. B. eine Handschrift Nähe und Vertrauen?
Dass bestimmte Schriftarten in den meisten von uns ähnliche Emotionen hervorrufen, liegt an unserem gemeinsamen Erfahrungshintergrund. Über unsere Kultur und Instinkte sowie persönliche Erfahrungen wurden wir über lange Zeit mit bestimmten Assoziationen „gefüttert“. So wie wir von klein auf gelernt haben, dass Banker in Anzug und Krawatte auftreten und nicht in Badeschlapfen herumlaufen. Oder wie wir bei Erwähnung einer Ketchup-Flasche sofort an die Farbe Rot denken.
Diese vielen „subjektiven Ähnlichkeiten“ können sich Typograf:innen und Kommunikationsdesigner zunutze machen — oder aber ignorieren und damit überraschen, dass sie etwas vollständig Neues anbieten. Gelungene typografische und gestalterische Entscheidungen stärken jedenfalls die Persönlichkeit eine Marke. Sie machen sie einzigartig und unverwechselbar und bauen eine emotionale Brücke zu den Kundinnen und Kunden.
Typografie-Entwicklung — ein gemeinsamer Prozess
Die Entwicklung einer Schriftart ist keine Arbeit, die man einfach abliefert, sondern sie bedarf des intensiven Zusammenspiels mit den Kundinnen und Kunden. Das beginnt schon beim Briefing: Je klarer die Parameter, desto passgenauer und wirkungsvoller wird das Schriftbild. Die Vorstellungen und der Auftrag der Kund:innen spielen dabei ebenso eine Rolle wie die Unternehmensziele, die Markenposition und der Anlass.
Das Briefing: Grundlage für die gelungene Gestaltung einer Schriftart
Deshalb sollten die folgenden Fragen immer Bestandteil eines Typografie-Briefings sein:
1. Wo sehen Sie Ihr Unternehmen in der Zukunft?
Unternehmenspositionierung und -visionen sind Grundlage jeder Markenentwicklung — und darüber hinaus wichtige Ideenlieferanten für die Typografie-Gestaltung.
2. Wofür wird die Typografie eingesetzt?
Die Schriftart sollte einen bestimmten Zweck erfüllen. Wenn das Ziel zum Beispiel darin besteht, Dynamik in den Anwendungsbereich zu bringen, wird eine höfliche kursive Schriftart nicht sehr gut funktionieren. Es wäre nicht richtig, in einer Krebsaufklärungskampagne eine fröhliche Schrift zu wählen, und es wäre auch nicht sinnvoll, in einem Augenuntersuchungszentrum Kunden mit einer schwer lesbaren Schrift zu erreichen. Deshalb sollte die Typografie ihren Zweck erfüllen und gleichzeitig für Harmonie in dem Bereich sorgen, in dem sie eingesetzt wird.
3. In welchen Ländern ist Ihr Unternehmen aktiv?
In Europa denken wir oft nur an das lateinische Alphabet. Aber auch hier gibt es Sprachen mit vielen verschiedenen Buchstaben-Zusätzen (diakritische Zeichen). Darüber hinaus existieren noch arabische, persische, chinesische oder hebräische Schriftsysteme auf der Welt. Daher sind die Lesegewohnheiten von rechts nach links und von oben nach unten sowie die Länder und Kulturen, in denen die Marke verwendet wird, von Bedeutung. Wenn eine Marke international tätig ist, sollte dies von Anfang an berücksichtigt werden.
4. Über welche Medien kommuniziert Ihr Unternehmen?
Über Print und Digital hinaus stellt die virtuelle Realität heute ganz neue Anforderungen an die Verwendung und Lesbarkeit von Schriften. Durch die Erweiterung auf 3D muss man z. B. über eine mehrachsige Anpassung nachdenken.
Die Einflussfaktoren: Langlebigkeit und Trends
Ein ausführliches Briefing ist auch deshalb gut investierte Zeit, weil es auf die Langlebigkeit einzahlt: Wenn Sie bei der Kreation einer typografischen Lösung für eine Marke zukünftige Entwicklungen berücksichtigen, müssen Sie später nur minimale Anpassungen vornehmen (z.B. bei der Technologie oder dem Einsatzort), um wieder auf dem neuesten Stand zu sein.
Trends können, müssen aber nicht der Haupteinfluss einer typografischen Lösung sein. Denn seien wir ehrlich: Sie sind vielleicht nicht der oder die Einzige, die davon beeinflusst werden.